24.12.20 13:41
Torwarttrainer ![](styles/forum-madeira.de/images/1.png) ![](styles/forum-madeira.de/images/1.png) ![](styles/forum-madeira.de/images/1.png) ![](styles/forum-madeira.de/images/1.png) Madeira-Riesenfingerhut
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Re: Adventskalender 2020 Hier werden die Türchen 1-24 geöffnet
Liebe Iris, in Anlehnung deiner guten Idee, hier mein Beitrag dazu. Eine Episode aus meinem Buch, wie unsere Kinder, Eva und ich Weihnachten 1975 auf Madeira mitfeiern durften.
Endlich Christmette Weihnachtsfrühstück
Endlich hat das Warten ein Ende. Es ist Donnerstag, eine Woche vor den Weihnachtsfeiertagen. Der Flieger in Frankfurt ist startbereit. Eva, beide Kinder und ich sind an Bord, Madeira im Kopf und los geht’s. Unsere Sitzplätze sind natürlich auf der rechten Seite, um so früh als irgend möglich die Lieblingsinsel zu sehen. Unter uns Porto Santo, aber dann, noch bevor Inselneulinge Madeira sehen, wissen wir schon, DA IST SIE.
Zu unserem Ankunftsritual gehören drei Dinge: a) Applaus für die geglückte Landung b) Vor Santa Cruz anhalten, Meeresblick genießen und Salzluft schnuppern c) Miradouro do Pináculo anfahren, Funchal und die Kirche von Santo António sehen.
Mit Melanie, jetzt drei Jahre alt, waren wir schon auf der Insel, für Stefan, vor gut einem Jahr geboren, ist es die Premiere. Unsere Gastgeberfamilien sind hin und weg. Dieser Empfang übersteigt an Emotionen alles Bisherige. Es scheint als wären wir nie fort gewesen. Schön, ein solches Urlaubsdomizil zu haben. Auch auf Madeira sind die Tage vor Weihnachten mit Vorbereitungen für das Fest reichlich ausgefüllt. Alle Familienmitglieder sowie auch wir Urlaubsgäste sind in die Besorgungen und Tätigkeiten mit einbezogen. Mit einem Besuch des Weihnachtsmarktes, dem Schlachttag und dem Backen der Plätzchen vergehen die Tage vor dem Fest ähnlich schnell wie zu Hause. Etwas besinnlicher geht es beim Aufbau der Weihnachtskrippe zu. Auf der Terrasse, in einer Ecke von altem Haus und Anbau, wird Bambus aufgestellt und mit Packpapier verkleidet. Wobei hier die Gebirgslandschaft der Insel nachgestellt wird, mit Höhlen und Schluchten, mit Bergrücken und Täler. Mit Farbe werden Bäche und Grünflächen aufgemalt. Selbst hergestellte zierliche Tonfiguren sowie Häuser und Hütten werden auf der Anlage verteilt. Der zentrale Geburtsstall wird von der Rückseite mit einem Strahler aufgehellt. In vielen Haushalten auf Madeira ist solch eine private, liebevoll angelegte Presépio zu bewundern. Dazu kommen hier auf dem Anwesen unserer Vermieter noch die Geräusche und Laute der Hühner und eines Hahns, der Tauben, der Ziegen, mitunter das Bellen der freilaufenden Schäferhündin sowie das Schnurren der beiden Katzen, sodass die Idylle anheimelnd, ja sogar liebreizend wirkt. "Etwas fehlt aber dennoch", sage ich zu Eva. "Ja, das Grunzen der Schweine fehlt, auch hier gilt: kein Paradies ohne Schattenseite", erwidert meine Frau. An Heiligabend gehen wir alle nach Igreja de Santo António zur Christmette. Ein Großereignis für die gesamte Kirchengemeinde. Schon der Vorplatz ist dicht besetzt, vor allem von jungen Leuten. Im Sakralbau selbst gibt es schon vor Beginn der Mette keinen freien Platz mehr. Wer zu spät kommt muss sich mit dem Eingangsbereich zufrieden geben. Hier herrscht ein ständiges Kommen und Gehen und deshalb auch sehr viel Unruhe. Dieser Bereich hat aber den Vorteil, dass die dort Anwesenden frische Luft einatmen können. Was für uns, die wir auf einer Kirchenbank sitzen, etwas später auch nötig sein wird. Das Krippenspiel wird gebührend, mit Respekt und Aufmerksamkeit, von den Anwesenden verfolgt. Die Darsteller, ob Erwachsene oder Kinder, bekommen ihren verdienten Szenenapplaus. Wie verhält sich das "Jesuskind?" Ist es ruhig, lacht es oder beginnt es zu weinen? Besonderer Gesprächsstoff für diesen Abend ist dies allemal und wird auch noch am nächsten Tag angesprochen. Denn alle Festbesucher scheinen zu wissen, wessen Säugling in diesem Jahr das Christkind darstellen darf. An beiden Feiertagen sind wir von unseren Gastgebern zum Festtagsfrühstück bei Carne de Vinho é Alhos eingeladen. Zuvor für jeden eine Orange, dazu süßen Kakao, der nicht nur den Kindern schmeckt, und als Abschluss ein Gläschen Zuckerrohrschnaps - diesen aber nur für die Erwachsenen, selbstverständlich. Traditionell bereitet Senhora Bela das Fleisch mit einer Schicht Brot als Unterlage im Eisentopf an der offenen Feuerstelle zu. Der Kakao wird im Topf auf dem Rost über dem Feuer gekocht und warmgehalten.
Bisher hatte die Familie immer zwei Schweine im Stall, aber in diesem Jahr nur eines großgezogen. Warum? Wie Eva mir am Nachmittag erzählt, hat sie während der Zubereitung des Essens Senhora Bela und Umberta, die auch an der Kochstelle mithilft, nach dem zweiten Schwein gefragt, hat aber nur eine ausweichende Antwort bekommen, die etwa so lautete: Sie möchte sich doch dazu an Senhor Carlos wenden, denn er erlebte den auslösenden Moment. Also fragen wir Senhor Carlos danach. Er spricht dann zu uns in ruhigem, aber nachdenklichem Ton. "Am Schlachttag im vorigen Jahr holte ich ein Schwein aus dem Stall und wie immer kam es auch dieses Mal zu einem heftigen Aufschrei bei den Tieren. Ich spürte sofort, irgendetwas ist heute anders, drehte mich um und sah, wie dem zurückbleibenden Schwein Tränen aus den Augen über das Gesicht liefen. Kein Mensch kann je ein Tier trösten, niemals."
In diesem Augenblick beginnt in der Igreja de São Roque die Nachmittagsmesse, die mittels Lautsprecher bis herüber zu uns nach Santo António gut zu hören ist.
Madeira maravilhosa
Adeus Tiago
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